Wo Hans-Jürg Fehr noch auf einem niederen Entwicklungsstand ist, wie er Ueli Maurers Blinddarm-Vergleich einstuft, was er über die Internationale oder den Begriff "Genossen" denkt, warum er die Gallade-Jositsch Idee mit Jugendgefängnissen ablehnt, ob er irgendwann einen Blog betreibt, ... all dies und noch mehr im Lupe-Interview mit dem scheidenden Parteipräsidenten der SP-Schweiz.
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Hans-Jürg Fehr, noch zwei Tage bis zur Amtsübergabe. Was waren die Highlights ihrer Präsidentschaft und da niemand perfekt ist, gleich noch die Frage: Was würden Sie rückblickend anders machen?
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Ein Highlight war der Abstimmungssonntag vom 16. Mai 2004, als wir alle wichtigen Abstimmungen gewannen und damit eine eigentliche neo-liberale Wende abwenden konnten. Zum zweiten Teil der Frage: strategisch besser angehen würde ich das Umsetzen von Konzepten. Bisher hatten wir bei Konzepten, wie zum Beispiel dem Wirtschaftskonzept der SP Schweiz, die Art und Weise wie auch das Tempo der Umsetzung zu stark dem Zufall überlassen.
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Ueli Maurer, ihr SVP-Kollege tritt ebenfalls zurück. Er gab in heutigen Interviews noch einmal Gas und bezeichnete u.a. die eigenen SVP-Bundesräte Schmid und Widmer-Schlumpf als „Blinddärme, die man möglichst schnell entfernen müsse, bevor sie platzen“.
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Für mich ein weiteres Beispiel, wie respektlos die SVP, nicht nur mit ihren Gegnern, auch mit ihren eigenen Parteimitgliedern umspringt. Damit qualifiziert sich Ueli Maurer selbst.
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In der einzigen Schaffhauser Tageszeitung erwähnte er: „Unsere SVP-Plakate kosteten Blocher den Kopf“.
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Absolut lächerlich. Die SVP-Führung überschätzt sich konstant. Jetzt wollen sie sogar noch die Abwahl Blochers selbst herbeigeführt haben. Kein Parteichef ist doch so blöde, bewusst eine Abstimmungskampagne zu produzieren, die den Kopf ihres Führers kostet.
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Ein Blogleser meinte, mit der Abwahl von Bundesrat Blocher und dem Abgang von Ueli Maurer fallen die dankbaren Feindbilder der SP praktisch weg.
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Da brauchen wir keine Angst zu haben. SVP-Extreme gehen nie aus, ob sie nun Mörgeli und Schlüer, oder Brunner und Bader heissen. Und der grosse Führer bleibt ja im Hintergrund aktiv.
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Christian Levrat, ihr Nachfolger will jeden politischen Entscheid auf seine Sozialverträglichkeit überprüfen. Unter Politologen nicht unbedingt jene Aussage, mit der man Wähler gewinnt.
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Der Begriff „sozial“ war über die Jahrzehnte hinweg positiv besetzt und war mit den Sozialversicherungen verbunden. Die Fürsorge wurde einst sogar in Sozialhilfe umgetauft. Es ist leider so, dass es der SVP gelungen ist, diesen Begriff negativ zu besetzen mit Schimpfwörtern wie Sozialschmarotzer und Sozialmissbrauch.
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Mit dem Label „klar sozial“ gewinnt die SP keine neuen Wähler dazu. Wäre der „Neuanfang“ nicht gerade ein guter Anlass mit einem neuen Label zu fahren. Zum Beispiel „Gerechtigkeit“ oder „Gerechtigkeit für alle“?
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Ich denke nicht, dass dies etwas ändern würde. Wir haben mit dem Label klar.sozial in den letzten Jahren immerhin die Mutterschaftsversicherung und die einheitlichen Kinderzulagen durchgebracht. Wir sind die Sozialdemokraten und der Begriff „sozial“ wird weiterhin mehrheitsfähig bleiben.
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Reden wir noch etwas von alten SP-Zöpfen, zum Beispiel der Internationalen, die mit erhobener Faust gesungen wird und textlich auch nicht mehr dem Geist der Zeit entspricht.
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Einverstanden, wenn man den Text wortwörtlich nimmt, dann ist er furchtbar, überholt, gar martialisch und blutrünstig. Aber die Erkämpfung der Menschenrechte ist weltweit eines der grössten Ziele, die es zu erreichen gilt, und genau das steht im Refrain der Internationale. Sie ist also topaktuell.
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Da wäre noch der alte Zopf der Anrede „Liebe Genossinnen und Genossen“. Sogar viele SP-ler stören sich daran und verwenden diese Begrüssungsart nicht.
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Wir leben immerhin in der Eidgenossenschaft, organisieren uns in Genossenschaften. Warum sollen wir uns nicht auch Genossen nennen? Wir sollten die Internationale, wie auch diese anderen Traditionen etwas lockerer nehmen und nicht gleich auf den Misthaufen der Geschichte werfen.
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Bezüglich alte Zöpfe abschneiden: In Deutschland erhalten Coiffeusen Mindestlöhne von Euro 3.19. Ein Leser meines Blogs möchte von Ihnen wissen, was sie von der Mindestlohndebatte in Deutschland halten.
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Die Gewerkschaften führten in den letzten Jahren zwei Mindestlohnkampagnen und brachten es fertig, ihn in den Gesamtarbeitsverträgen auf 3300 Franken anzuheben. Dies machte Sinn, vor allem in typischen Frauenberufen lag das Lohnniveau einiges tiefer. Es kann durchaus sein, dass es irgendwann nötig wird, auch in der Schweiz via Gesetz Mindestlöhne zu verankern. Allerdings bin ich gegen 400 Euro-Jobs und dergleichen. Eine anständige Arbeit soll auch anständig entlöhnt werden, also so, dass man davon leben kann.
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Chantal Gallade und Daniel Jositsch, SP-Genossinnen aus Zürich, äusserten sich in der Öffentlichkeit mit klaren Vorstellungen zum Thema Jugendgewalt und erzielten prompt ausgezeichnete Wahlresultate. Der SP-Schweiz nimmt die Öffentlichkeit irgendwie nicht ab, dass sie bezüglich Jugendgewalt oder Ausländerintegration gute Lösungen hat. Was macht ihr falsch?
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Was die beiden Zürcher Politiker gegenüber den Medien äusserten, entsprach bis auf einen Punkt genau dem SP-Schweiz Modell. Dieses verfolgt ein 4-Säulen-Prinzip: Prävention (vorbeugen), Intervention (eingreifen), Sanktion (Massnahmen treffen) und Repression (bestrafen). Wo wir aber keine Hand bieten, ist ein Modell bei dem 14-jährige ins Gefängnis gesteckt werden, in der Annahme, diese Jugendlichen änderten sich dann dort von selbst. Andere Repressionen oder Einweisungen in ein geeignetes Erziehungsheim können durchaus sinnvolle Massnahmen sein.
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Zum kommenden Samstag: Christian Levrat steht als einziger zur Wahl um ihre Nachfolge. Hat die SP zu wenig gute Köpfe, ist das Amt zu wenig interessant oder zu zeitaufwändig?
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Das Amt ist enorm zeitaufwändig, entspricht etwa einem 80% Job, ist sehr anspruchsvoll und lässt kaum mehr Freizeit. Die Arbeit ist aber auch hoch interessant, bereichernd und spannend. Absagen an eine Kandidatur erfolgten aus zeitlichen Gründen, aus familiären Gründen und sicherlich hat auch die Karriereplanung bei dem einen oder anderen eine Rolle gespielt.
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Vier, fünf oder sechs Co-Präsidenten scheinen Mode zu werden. Was verspricht man sich davon? Mal ganz ehrlich, was halten Sie davon?
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Ein solches operatives Führungsorgan nebst der Geschäftsleitung macht durchaus Sinn. Wie in der Privatwirtschaft hätten wir dann eine Art Direktion und Verwaltungsrat. Voraussetzung ist aber, dass jeder Co-Präsident klare Kompetenzen und Aufgabenbereichen zugeordnet bekommt.
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Was macht Hans-Jürg Fehr mit der dazu gewonnen Zeit, nebst den zwei Nationalrats-Kommissionen und dem Schaffhauser Kantonsrat? Man hört, dass Ihnen ein Angebot für das Amt eines Präsidenten eines grösseren Verbandes im Wohnungs- oder Genossenschaftswesen vorliegt.
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Es liegen mir tatsächlich Angebote vor. Ich könnte mir durchaus vorstellen, nebst der politischen Arbeit, mich auch in einem linken gesamtschweizerischen Verband zu betätigen. Mein Entscheid fällt in wenigen Tagen.
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Ein Leser des Lupe-Blogs wollte noch wissen, welchen Stellenwert für Sie das Internet hat und ob sie hie und da auch Blogs besuchen?
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Für mich ist das Internet ein wichtiges Medium. Ich muss allerdings eingestehen, dass ich es hauptsächlich für den Mailverkehr benutze und dies im Schnitt mehrere Stunden pro Tag. Als Infoquelle nutze ich es kaum. Für Medien-Blogs oder den eigenen SP-Blog habe ich schon Beiträge verfasst. Gezielt einen Blog besucht, muss ich ehrlich zugeben, habe ich noch nie. Überhaupt bin ich was den aktiven Gebrauch all der Internet-Möglichkeiten anbetrifft, noch auf einem niederen Entwicklungsstand.
Also ausbaufähig. Könnte es in ein paar Jahren nebst Bundesrat Leuenbergers Blog auch einen Hans-Jürg Fehr-Blog geben.
Könnte ich mir durchaus vorstellen. Würde mich sogar reizen, so etwas zu versuchen.
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Fotos anlässlich des Interviews mit Hans-Jürg Fehr aufgenommen
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über die sp schweiz:
Parteitag in fahrendem Zug
Atheisten sind an allem Schuld - die SP kann aufatmen
Würde Leuenberger den Blocher beatmen?
satirische fake-interviews:
Kurt Beck: Wir zahlten Euro 5.77 die Stunde, aber ...
Roland Koch arbeitet ab Januar zum Mindestlohn
Lupe interviewt SVP-Zottel Lupe interviewt Oswald Grübel
Lupe interviewt Bundesrat Merz
lupe interviewt dr. samuel stutz
4 Kommentare:
Danke für das Interview!
gern geschehen, lieber edemokratieler
:-)
Danke fürs Interview, sehr intim!
at bd: konnte ich dir nicht dienen mit badewannen-fragen?
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