02.02.2010

Zukunft am Morgen


in loser reihenfolge werde ich diese woche drei gastbeiträge veröffentlichen. der heutige gastautor "manfred von beinen" betreibt die seite http://www.froehliche-weisheit.com/.

„Guten Morgen!" - Irritiert und ein bisschen erschrocken wende ich mich von meiner Kaffeemaschine weg und drehe mich der zarten aber deutlichen Stimme zu. Ungläubig starre ich das Kind an, das da urplötzlich in meiner unaufgeräumten Küche steht. Ich muss wohl noch ein wenig schafsblöder aussehen als sonst um diese frühe Stunde eh schon üblich. „Kannst du nicht ‚Guten Morgen’ sagen?" fragt der kleine blonde Kerl und blitzt mich aus hellen Augen verschmitzt und herausfordernd an. „Wer bist du? Wo kommst du her?" stottere ich in meinem Bemühen, die Fassung wieder zu finden. Der Knirps bläst die rosigen Wangen auf und lässt mit die aufgestaute Luft mit einem unanständig klingenden Laut entweichen. „Du bist ja wirklich so dumm, wie du aussiehst. Wer soll ich schon sein? Ich bin deine Zukunft." Jetzt bin ich aber platt. Wenn ich mir alle Mühe gebe und die Kaffeemaschine richtig und sorgfältig befülle und sie einschalte und dann wieder in Richtung Küchenfenster blicke – dann ist die Kindeseinbildung bestimmt verschwunden, denke ich.
Nein, hat nicht geklappt. Der fröhlich grienende Zwerg in blauer Latzhose steht immer noch da, während die Kaffeemaschine hinter mir sanft vor sich hingluckert. „Meine Zukunft? Was soll das?" Ich habe noch nie mit einer Erscheinung geredet, schon gar nicht vor neun Uhr morgens. Deshalb fühle ich mich reichlich unsicher. „Liest du keine Zeitung? Hörst du keine Politikerreden? Die sagen: ‚Kinder sind unsere Zukunft.’ Also: Da bin ich. Ich bin ein Kind. Ich bin deine Zukunft." Das verblüfft mich ordentlich. Meine Zukunft, persönlich gegenwärtig, schon vorm Frühstück.
„Donnerwetter" bringe ich schließlich heraus, „das ist ja ein Ding." Fahrig stecke ich zwei Scheiben Toast in den Toaster. „Ich gieß mir jetzt einen Becher Kaffee ein, zwei Stück Zucker dazu, dann kräftig umrühren, drüber blasen und wenn ich die Augen wieder aufmachen, ist es verschwunden" beruhige ich mich. Huldvoll lächelnd sieht der Knabe zu mir herüber, die hellbraunen Stiefel nachdrücklich in den alten Flokati gestemmt, auf dem sich sonst mein dicker Kater wälzt. Freiwillig scheint meine Zukunft nicht verschwinden zu wollen.
„Hast du sonst nichts zu tun" frage ich ein wenig barsch, „keine Vorschule, keinen Kindergarten, keine Lehrerin, die du ärgern könntest?" Der Kleine schaut beleidigt. „Da macht man sich die Mühe" schmollt er, „ und dann so was von Undank! Blöder Erwachsener! Freu dich, dass du mich hast, freu dich, dass du eine Zukunft hast!" Ich schrecke zusammen, als das Weißbrot aus dem Toaster springt. „Von wegen!" gebe ich gereizt zurück, „meine Zukunft habe ich mir nämlich ganz anders vorgestellt." Jetzt ist der Zwerg ernstlich sauer. „Zukunft!" brüllt er mich an, „du brauchst mich, du brauchst Zukunft!" Zukunft, ha! Was ich im Moment brauch ist ein sauberer Kaffeelöffel. „Knirps, du nervst!" poltere ich los und greife überhastet und ungeschickt nach dem Kaffeebecher, der einiges von seinem heißen Inhalt über die Spüle spritzt. „Kann ich mir wenigstens was wünschen, wenn du schon mal da bist?" knurre ich das Kind an und schäme mich fast für meine ruppige Tonart. „Wie kann man nur so egoistisch sein!" Fassungslos schüttelt der Junge seine Locken. „Sei froh, dass du überhaupt Zukunft hast!" Das leuchtet mir nicht ein und Dankbarkeit am frühen Morgen ist auch nicht mein Ding. „Wie heißt du überhaupt?" Ich mache einen schwachen Versuch der Annäherung, möchte meine Zukunft kennen lernen oder ich tue zumindest so. „Meinen Namen sag ich nicht, den musst du raten" sagt der Zwerg listig.
Moment mal! Das Stück ist mir bekannt. Sogleich ergreife ich die Gelegenheit. „Rumpelstilzchen!" Ich höre den schrillen Klang meiner Stimme mit Missbilligung. „Du heißt Rumpelstilzchen!" Mit offenem Mund starrt der Knirps mich an, die Röte schießt ihm ins Gesicht, unkindlicher Zorn funkelt in seinen Augen. „So du blöder Affe im Nachthemd, jetzt bist du deine Zukunft los! Ich lasse mich nicht beleidigen!" Wütend stampft er mit seinem rechten Füßchen auf und ist im nächsten Moment erst durch den Flokati, dann durch den Fußboden verschwunden. Zurück bleibt ein Handteller großer Fleck auf dem Teppich. Der Einfachheit halber schreibe ich diese Verunzierung meinem Kater zu.
Irgendwie ist mir die Lust am Frühstücken vergangen. Stattdessen mache ich mich viel zu früh auf den Weg ins Büro. Ich fühle mich zu schwach für die Treppe und drücke den Fahrstuhlknopf. Im 3. Stock steigt ein jungendlicher Punker zu. Sein rot-gelber Hahnenkamm streift knapp die Fahrstuhldecke. Zur Begrüßung lächelt er mich kurz mit zweifach gepiercten Lippen an. Das Lächeln kommt mir bekannt vor. „Bist du meine Zukunft?" frage ich höflich. „Hey Alter, was ist mit dir los? Komm mal klar, Mann! Ich bin meine eigene Zukunft." Spricht es und steigt aus. „Recht so!" rufe ich ihm hinterher. Kann doch noch ein guter Tag werden heute.
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die beiden anderen gastbeiträge:

Asyl für politisch verfolgte Deutsche in den USA
Meuterei am Kundus

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